Von Torben Schröder
Wenn der Dickworz mit der Froschkönigin
Urig-hausgemachte Fastnacht liefert erneut der MGV mit Anarcho-Charme im Sälchen und ehrt Nachwuchstänzerinnen mit Orden aus Gummibärchen-Tüten.
SELZEN - Der Obermessdiener? Passt gar nicht auf die kleine Bühne im Sälchen. Die Erhöhung des Eintrittspreises auf zehn Euro? „Hauptsache, der Wein ist billig.“ Lothar Hauenstein, letztmals als Hausmeister auf der närrischen MGV-Bühne in Selzen, ist wieder bei „bester“ Laune. Und das sollte für die nächsten sechseinhalb Stunden auch für das Publikum gelten. Hausgemachte Fastnacht mit Anarcho-Charme, dafür steht Sitzungspräsident Freddy Henß mit seinem Team auch in der achten Kampagne der „Neuzeit“. Diesmal verkleidet als Käpt'n Iglo und sekundiert von Sven Hauenstein als Fischstäbchen, hatte Henß dank der Marketingabteilung der Tiefkühlmarke ausnahmsweise sogar ein Komitee – elf Käpt'n Iglos, Aufsteller mit den Gesichtern von Aktiven. Seine Trinksprüche der Sorte „Bist am Trinken – bleib dabei, deine Frau schennt um zehn genau wie um zwei“ sind ohnehin Kult.
Politik Vortrag
Antje Conrad hielt die Tradition des Protokolls hoch und schlug vor, die Pannen-Flieger mit 3-D-Druckern auszustatten, damit sie direkt ihre Ersatzteile nachproduzieren können. „Den wenigen Meckerern nachgeben – das ging jetzt ordentlich daneben“, reimte sie zum Rhein-Selz-Park. Klaus Penzer solle sich statt um B 5 oder B 6 lieber um die B 9 kümmern. Und der Ortspolitik schrieb sie ins Stammbuch: „Rauft euch zusammen, sonst geht’s hier noch zu wie in Oppenheim.“ Frenetisch unterstützt wurde ihre Bitte an den „Selzer Frosch“ Kurt Wolf, in die Bütt zurückzukehren. Willi Windhund alias Horst Radelli gab sein zweites Gastspiel im Sälchen („Ihr seid phantastische Leut'“), und Henß hielt beim „Prominentenwinken“ fest: „Der Marcus Held ist erneut meiner Einladung nicht gefolgt.“
„Gardeoffizier“ Thomas Heigert kam vom „Sultan mit den leeren Taschen“ Erdogan bis zu den Zollhafen-Anwohnern, deretwegen man am besten den Rhein überdachen sollte. Sein Debüt in Selzen gab Hahnheims Ortschef Werner Kalbfuß alias Karl Dickworz im Dialog mit „Froschkönigin“ Monja Seidel. „Was so richtig super wär, wär ne gemeinsame Feuerwehr“, meinte die Selzer Regentin. Kalbfuß riet der VG, Gas zu geben, sonst falle das Grundstück an den Verkäufer zurück. Anerkennender Applaus für die Traute, sich im „feindlichen“ Nachbardorf auf die Bretter zu wagen.
Kokolores
Josi Stang und Claus Weber sorgten als Prinzenpaar für Lachtränen, Svenja Heigert reimte sich durch eine Partnersuche mit Hindernissen und Jörg Döring empfahl erneut sein an der Ukulele gespieltes Spottlied „Wer Hahnheim kennt, findet's überall schön“ als inoffizielle Sälchen-Hymne. So ein wenig stahlen ihm allerdings die beiden aus Gründen der Pietät namentlich nicht genannten Bühnenhelfer die Show, deren zunehmend verzweifelter Versuch, ein Banner auszurollen, eher nach Ausdruckstanz als nach geplantem Vorgehen aussah. Lauter Jubel auch dafür.
Musik
Robert und Norbert Jochem sowie Thomas Neumer als Dienheimer Falkenberg-Musikanten sorgten mit tonsicherer Blasmusik für Stimmung, die Meenzer Zibbelkappe aus Mommenheim fegten mit handgemachter Fastnachtsmusik durch den Saal – ein enorm sympathischer Auftritt. Zum Finale drehten die Unnerummer Bube mit Schlagern an der Stimmungsuhr.
Tanz
Traditionell ein Eckpfeiler in Selzen ist das skurrile Gardeballett samt späterer Reinkarnation als Pink Puschels. Zweimal die Woche wurde geprobt – Hut ab! Werden die Orden üblicherweise aus beklebten CD-Rohlingen gebastelt, gab es für den Nachwuchs der Teen Emotions Gummibärentüten am Band. Die 16 Twirl-Explosion-Tänzerinnen hatten alle Mühe, ihre Figuren und Choreografien auf der winzigen Bühne unterzubringen. Neben den Kingerummer Stolperhölzern mit ihrer witzigen 90er-Tanzshow zog das „Selzen Air“-Männerballett der Froschschenkelcher, schlussendlich in Flamingo-Shorts, die lautesten Reaktionen auf sich.
Fazit
Bodenständig, urig, mit ansteckender Freude präsentiert – Saalfastnacht sollte abseits der Großbühnen genau so sein wie in Selzen.